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22. Juni 1999
Welt





Esoteriker randalieren in Stonehenge

Konflikt innerhalb der weitgefächerten New-Age-Szene

SALISBURY (AP/rtr). Bei der Feier der Sommersonnenwende in Stonehenge ist es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und mehreren hundert Personen gekommen. Der Hintergrund der Auseinandersetzungen ist nur schwer zu entwirren. Offenkundig geht es um einen Konflikt innerhalb der Esoterik-Szene. Wie eine Polizeisprecherin mitteilte, durchbrachen etwa 400 Menschen am Montag morgen den Zaun um das Monument in Südwestengland. In diesem Jahr war es 150 sogenannten Druiden - das ist eine Fraktion innerhalb der weitgefächerten und bunten Esoterik- und New-Age-Welt - und ihren Anhängern erlaubt, den in der alten keltischen Religion hohen Festtag wieder im Steinkreis von Stonehenge zu begehen.

Die Eindringlinge, die nicht zu den Druiden gehörten, rissen bei Dunkelheit die Zäune um das Gelände nieder und drangen zu dem berühmten Steinkreis vor. Sie setzten sich auf die Steine und warfen mit zahlreichen Gegenständen nach den Sicherheitskräften. Eine Frau zog sich nackt aus und tanzte wild auf den alten Steinen. Die Eindringlinge wurden von der Polizei mit Hunden und Pferden auseinandergetrieben. 22 Randalierer wurden festgenommen. "Die Polizeibeamten konnten die Leute zurück auf die Straßen bringen", erklärte Polizeisprecher Andy Hollingshead. Die Anlage von Stonehenge wurde vollständig abgeriegelt.

Der Vorsitzende des Britischen Ordens der Druiden, Kevin Carlyon, hatte die Erlaubnis bekommen, in Stonehenge zu feiern. "Stonehenge sollte eine Andachtsstätte sein. Es ist kein Ort für Sex, Drogen und Rock'n'Roll", sagte Carlyon.

Bei einer ähnlichen Feier Ende der 80er Jahre versuchten 4000 Neo-Hippies, die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen, um an der Feier teilzunehmen. Seither blieb der doppelte Steinkreis, den Wissenschaftler für ein frühes Observatorium und eine Kultstätte halten, abgeriegelt. Daher kam es in den letzten Jahren immer wieder zur Sommersonnenwende zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Leuten, die auf das Gelände wollten. In diesem Jahr durften die Druiden erstmals wieder dort feiern und wurden von anderen Esoterikern gestört.

Zwischen Polizei und Anhängern des Esoterik-Spektrums hat es bei Sommerfestivals und Umweltschutz-Demonstrationen immer wieder gewaltsame Zusammenstöße gegeben. Die Szene fühlt sich durch Polizeigesetze benachteiligt, die ein härteres Vorgehen der Polizei bei Massenveranstaltungen erlauben.

Der Überfall auf das Stonehenge-Gelände war in einschlägigen Zeitschriften und im Internet angekündigt worden. Er sollte die Druiden daran hindern, in der prähistorischen Anlage die Sommer-Sonnenwende zu feiern. Die Störaktion der Esoteriker in Stonehenge sei eine Entweihung der heiligen Stätte gewesen, teilte der Britische Orden der Druiden in London mit. Die Druiden sind Anhänger der vorchristlichen Religion der Kelten und kommen seit langem zu dem steinernen Denkmal aus dem Jahr 2800 vor Christus.

Zum britischen Esoterik-Spektrum gehören nicht nur Druiden, sondern auch militante Tierschützer, die Fuchsjagden und Kälbertransporte behindern, junge Leute, die auf Bäumen leben, um sie vor dem Fällen zu schützen, oder Leute, die in tiefen Erdhöhlen leben, um den Bau von Straßen zu verhindern. Hinzu kommen zahlreiche andere Gruppen, die sich ein Thema auf ihre Fahnen geschrieben haben. Die Szene in England gilt als exzentrischer und skurriler als in Deutschland. Sie bildete sich vor allem in den 80er Jahren als eine Art Lebensstil-Opposition gegen die Thatcher-Regierung.

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